Über uns in der Presse

Artikel aus: Mannheimer Illustrierte, Oktober 1993
Interkulturelle Wochen
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Die Unmündigen

Eine andere Veranstaltung im Rahmen der interkulturellen Wochen wird von den „Unmündigen“ organisiert. Ihr Name erstaunt und provoziert. Wer möchte „unmündig“ sein, wer bezeichnet sich freiwillig selber als unmündig?

Bülent Yarar ist 30 Jahre alt und verbrachte die Hälfte seines Lebens in Deutschland. Ebenso Sükrü Turan. Zübeyde Alver ist 25 Jahre alt. Sie wohnt in Mannheim ihr ganzes bisheriges Leben lang. Sie alle sind hier zuhause, sprechen selbstverständlich gepflegtes Hochdeutsch genauso fließend wie Mannheimer Dialekt. Sie unterscheiden sich in nichts von gleichaltrigen anderen Mannheimern. Sie kennen die gleichen Filme, besuchen die zur Zeit beliebten Lokale, gehen ihren Berufen nach und sind doch gezwungen, anders zu sein. Anders in einem Punkt nur, allerdings in einem wichtigen. Sie sind unmündig. Sie haben kein politisches Mitspracherecht in Deutschland, in ihrer Heimat. Sie leben nicht „mit den Füßen in Deutschland und den Köpfen in der Türkei“, wie Turan von der Elterngeneration berichtet.

Etwa 50 junge Mannheimer und Mannheimerinnen treffen sich regelmäßig und sprechen über ihre besondere Lage. Sie sind keine Ausländer, werden aber als solche behandelt und häufig auch diffamiert. Yarar erzählt von Situationen, in denen er von Bekannten im Streit beschimpft wurde als „Scheißausländer“, der „nach Hause“ gehen solle in die Türkei. Eine absurde Sache für jemanden, der hier daheim ist. Aber rechtlich korrekt sei die Bezeichnung als Ausländer, erläutert Turan, da sie vor dem Gesetz nicht als Deutsche anerkannt sind. Auch ist das Wort „Ausländer“ häufig negativ gebraucht. „Und das kann nicht akzeptiert werden“, ergänzt Alver.

„Wer das Leben hier kennt, ist nicht fremd. Wir sind keine Gäste“, Yarar wird sehr ernst: „Wir lassen uns nicht vertreiben.“ „Die Unmündigen“ organisierten die Aktion „Wir in Mannheim“ und sammelten etwa 14 000 Unterschriften für die doppelte Staatsbürgerschaft. Am 6. Oktober laden sie ein zu einer Diskussionsveranstaltung ins Forum der Jugend mit dem Thema „Wer beweist mir, dass ich ein Ausländer bin?“. Beginn ist um 19 Uhr. Die Unmündigen diskutieren diese Frage mit Vertretern des Gemeinderates.
NA

Artikel aus: Mannheimer Morgen vom 8. Oktober 1993
Wir sind ein Teil der Gesellschaft“

Podiumsdiskussion zur Ausländerpolitik im Rahmen der interkulturellen Wochen

Migranten, Nicht-Deutsche, ausländische Inländer oder inländische Ausländer? Was sind sie eigentlich, die hier geborenen und aufgewachsenen Jugendlichen, Kinder der sogenannten Gastarbeitergeneration? Während der Podiumsdiskussion im Rahmen der interkulturellen Wochen waren Antworten gefragt.

„Vor allem sind wir unmündige Bürger“, brachte Sükrü Turan von der Gruppe mit dem provokanten Namen „Die Unmündigen“ seine Minderwertigkeitsgefühle zum Ausdruck. „Hier geboren, 30 Jahre, nie gewählt“ stand auf einem der Plakate, mit der die jungen Türken ihr gesellschaftliches Abseits anprangerten. Was sie fordern? Allem voran die politische Gleichberechtigung: Gleiche Rechte, gleiche Pflichten, „denn wir sind schließlich ein Teil der Gesellschaft“.

Die anwesenden Kommunalpolitiker – die CDU war zwar eingeladen aber nicht erschienen – wussten sie bei diesem Anliegen auf ihrer Seite. Zur Diskussionsveranstaltung im voll besetzten Saal des Forum der Jugend waren als Diskussionsleiter ein in Stuttgart wohnender Spanier (Guilermo Aparicio), eine in Frankreich geborene Deutsche (Yvette Boedecker, Grüne), eine mit einem Griechen verheiratete Deutsche (Ingeborg Nikitopoulus, FDP), ein Mannheimer (Peter Kurz, SPD), ein Äthiopier (Berhanu Berhe, evangelische Akademie), der Ausländerbeauftragte (Helmut Schmitt) und ein Kurde mit einem türkischen Pass (Sükrü Turan, „Die Unmündigen“) gekommen.

Mit einer Ausländerpolitik, die – wie in der Vergangenheit – überwiegend Bildungs- und Sozialpolitik war, haben die jungen Migranten nichts mehr am Hut. Kommunales Wahlrecht, Ausländerräte, Koordinierungsausschüsse, Runder Tisch: all das ist für sie Schnee von Gestern, all das „hat mit Integration nichts zu tun.“ Ob in Kindergärten, Schule oder Beruf: Ausländer sind in allen Belangen nach wie vor benachteiligt, belegte Helmut Schmitt anhand von Zahlen.

60 000 Menschen in Mannheim, das sind 20 Prozent der Einwohner, haben keinen deutschen Pass. „Die Diskriminierung eines Teils der Bevölkerung können wir uns in Zukunft nicht mehr leisten“, so das Fazit auf dem Podium. „Wenn wir nicht jetzt handeln, werden wir schwierigen Zeiten entgegengehen“, warnte Ingeborg Nikitopoulus vor einer Radikalisierung dieser Menschen. Die soziale Benachteiligung kann nach Meinung von Peter Kurz aber nur durch ein politisches Mitspracherecht beendet werden. Deshalb müsse in Bonn, darin waren sich alle Politiker einig, „das veraltete und völlig absurde Staatsbürgerrecht“ geändert werden, versprachen sie, sich in ihren Parteien für die Gesetzesinitiative stark zu machen.
Anke Philipp